Wie sollen wir leben? Das ist die Frage in diesem Oratorium. Da ist das junge Ich, die „Schönheit“ (Bellezza), die sich zwischen hedonistischem Lebensstil und Askese entscheiden soll. Drei allegorische Figuren – „Zeit“ (Tempo), „Ernüchterung“ (Disinganno) und „Vergnügen“ (Piacere) – säuseln ihr ins Ohr. Will sie im glitzernden Hier und Jetzt umherwirbeln oder sich auf die Suche nach wahren, tiefen Werten begeben?
Dass am Ende Piacere den Kürzeren zieht und die christliche Moral recht hoch im Kurs steht, liegt am Librettisten des Werkes: Kardinal Benedetto Panfili.
Er zählte zu den wichtigsten Gönnern Händels in Rom und lieferte Texte für zwei seiner Oratorien, als Händel mit Anfang 20 in Italien weilte. Allerdings repräsentierte Panfili schon damals eine Kirche, die nicht immer das vorlebte, was sie predigte. Grübeln und Verzicht jedenfalls zählten nicht gerade zu den Aktivitäten des exquisiten Zirkels, in dem der Kardinal seine Freizeit verbrachte: der „Accademia dell’Arcadia“. Benannt nach der griechischen Landschaftsidylle Arkadien trafen sich hier regelmäßig adelige und geistliche Würdenträger in ihren Palästen und Gärten, um die Gedanken mithilfe von Schäferstündchen zu zerstreuen. Schäferstündchen im herkömmlichen Sinne, denn die Bezeichnung geht auf die Schäferdichtung zu Händels Zeiten zurück. Die Reichen vertrieben ihre Langeweile, indem sie mit Hilfe von Poesie das einfache Leben von Hirten idealisierten. So verkleideten sich die Arkadier mit Stab und Täschchen und spielten Landleben.
Gast in dieser illustren Runde war auch Georg Friedrich Händel – seine römischen Förderer luden ihn regelmäßig ein. Für funkelnde Improvisationen auf der Orgel und pianistischen Schlagabtausch erhielt er Zutritt zu einem exklusiven Netzwerk und Unterstützung für neue Werke, wie für sein erstes Oratorium. Von dem erhobenen Zeigefinger der kardinalen Texte ließ er sich nicht einschüchtern. Vielmehr ruft sein Werk Assoziationen an arkadische Spaziergänge wach: In den bezaubernden Soli der Oboe kann die Fantasie schweifen, wie wenn der Hirte seine Schalmei singen lässt. Aber nicht nur nachdenkliche Töne haben im Oratorium Platz. Die Musik ist ein hinreißender Triumph für die Schönheit an sich, die sich weder Vergnügen noch Suche nach Wahrheiten versagt.
Werkeinführung (dt.)
9.5., 18.00 Uhr
Prof. Dr. Laurenz Lütteken
Stadthalle, Tagungsraum 4
Foto: Michal Novak
Hainholzweg 3
37085 Göttingen
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